Nach Dan Johns Dragon-Door-Seminar erhielt ich nicht weniger als vier Telefonanrufe, die sich alle um dieselben Fragen drehten. Es ging um die Nackenhaltung bei Bewegungen wie dem Deadlift und dem Kettlebell-Swing, die einen Hip Hinge notwendig machen. Die Fragen kamen auf, weil die Anrufer, die ich zuvor als Coach betreut hatte, in dem Seminar eine völlig andere Idealhaltung der Halswirbelsäule kennengelernt hatten, als die, die wir zusammen eingeübt hatten. Ich bringe meinen Klienten normalerweise bei, den Nacken anzuspannen – dabei wird die Halswirbelsäule zurückverlagert und der Kopf gebeugt. Das sieht in etwa so aus, als würde man ein Doppelkinn machen wollen; in der Regel spürt man dabei eine Menge Druck in der Halswirbelsäule.
Ebenso wie viele andere hervorragende Trainer für olympisches Gewichtheben bzw. RKC-Instruktoren lehrt auch Dan John eine abweichende Methode, bei der man angeleitet wird, den Hals nach vorne zu strecken, als würde man ein kleines Objekt am Horizont erkennen wollen. Ich habe mir seine Videos über Kettlebell-Training und olympisches Gewichtheben noch einmal angesehen und komme tatsächlich zu dem Schluss, dass seine Halshaltung praktisch das genaue Gegenteil von dem ist, was ich empfehle.
Ich könnte Ihnen jetzt natürlich eine Reihe von Bildern zeigen, auf denen veritable Elite-Sportler dabei zu sehen sind, wie sie bei den genannten Übungen sowohl die eine als auch die andere Technik/Position zur Anwendung bringen – allerdings gibt es für beide Varianten wohl gleich viele Befürworter, und damit hätten wir dann eine Pattsituation. Anstatt also zu argumentieren, dass Person X es so macht, und deshalb muss es richtig sein, möchte ich lieber genau erklären, warum es sinnvoll ist, den Nacken anzuspannen. Meiner Meinung nach gibt es überhaupt keinen Grund, den Nacken nach vorne zu strecken. Mit dem Einwand „Wir sehen darin kein Problem“ gebe ich mich nicht zufrieden. „Wir sehen darin kein Problem“ bedeutet eher soviel wie „Stimmt, du hast vollkommen recht, aber ich will meine Technik trotzdem nicht verändern.“
Ich möchte also versuchen zu erläutern, warum meine Methode sinnvoll ist, und dabei sowohl persönliche Erfahrungen als auch psychologische Erklärungen anführen. Normalerweise werden in derlei Diskursen hauptsächlich persönliche Erfahrungen eingebracht. Aber ich möchte mich gerne der Diskussion stellen und hören, warum ich falsch liege oder warum meine Argumente keine Rolle spielen.
Wir sehen darin kein Problem? Dann habt ihr bisher an der falschen Stelle oder nicht genau genug gesucht!
Senior-RKC Thomas Phillips, meine Wenigkeit und Steve Pucciarelli @ Fit For Like aus Marlboro, New Jersey, haben etwa ein Jahr lang an dieser Nackenhaltung gearbeitet, die übrigens nicht nur eine Frage der Sicherheit ist. Sie ist eine Frage der Sicherheit und der Leistung. Die Stabilisierung der Wirbelsäule, die ich nachfolgend beschreibe, sorgt nicht nur für einen gesunden, stabilen Core, sondern auch für mehr Hüftmobilität und somit für eine kraftvollere Hüftextension. Es ist kein Zufall, dass solide Positionen die Grundlage für außerordentliche Kraftleistungen sind. Ich glaube, Tom vertritt diese Haltung innerhalb der RKC-Gemeinde schon seit einer ganzen Weile.
Einige Dinge, die es zu bedenken gilt:
- Der Nacken muss immer in der Lage sein, den physiologischen Bewegungsumfang zu reproduzieren: Flexion, Extension, Rotation, Seitwärtsneigung. Wenn man einen aggressiven Hip Hinge wie beim Swing oder Deadlift beobachtet, sehen wir eine lange Wirbelsäule. Wir hören oft Tipps wie „Wirbelsäule lang machen“, wenn es darum geht, den Core in die korrekte Position zu bringen. Betrachtet man die Wirbelsäule als Einheit, d.h. als eine Kette bestehend aus vielen Gliedern mit Bereichen, die sich teilweise leichter bewegen lassen als andere, sollten wir bedenken, dass alles, was in einem Bereich geschieht, an anderer Stelle mit einer ähnlichen Position kompensiert wird. Ich will damit sagen, dass alles, was im Nacken passiert, Auswirkungen auf die Lendenwirbelsäule hat.
Wenn Sie jemanden dabei beobachten würden, wie er mit einer Hyperlordose der Lendenwirbelsäule einen Swing oder Deadlift ausführt, würden Sie ihn vermutlich korrigieren. Nun, eine Hyperlordose des Nackens ist dasselbe, würde ich sagen. Die meisten Leute glauben, sie seien in einer neutralen Position, tatsächlich jedoch befinden sie sich in einer Hyperlordose. Praktisch jeder von uns hält sein Becken und seine Halswirbelsäule etwas vorwärts geneigt. Diese Haltung bewirkt eine Annäherung der Knochen, die dem Gehirn sagt „Hey, uns geht es gut hier. Wir sind stabil, weil die Knochen dicht zusammen stehen. Der Core kann eine Pause machen.“
Schauen wir uns einmal die natürlichen Krümmungen der Wirbelsäule an. Diese erfüllen mehrere spezifische Funktionen: Sie balancieren sich gegenseitig aus, halten Druck stand und reagieren auf Scherkräfte. Die Wirbelsäule ist wie ein Springstock: wenn also Kräfte vom Boden nach oben übertragen werden, reagiert die Wirbelsäule mit einer gefederten Dämpfung.
Wenn Sie nun die Krümmung im Nackenbereich mit einer Extension verstärken, besteht die natürliche Kompensation darin 1) die antikompressive Federung beizubehalten und 2) die Krümmung der Lenden- und Brustwirbelsäule zu verstärken, um die Gewichtsverlagerung auszugleichen.
Dementsprechend gilt: Wenn Sie in Richtung Horizont spähen, destabilisieren Sie den Nacken, und diese Tendenz setzt sich bis in die Lendenwirbelsäule fort. Optisch sieht es vielleicht nicht so aus, als wäre eine Korrektur erforderlich, aber dieser Eindruck täuscht.
- Der zweite Punkt ist ein etwas laienhafterer Ansatz. Probieren Sie einmal dieses kleine Experiment aus: Nehmen Sie einen aufrechten Stand mit einer langen Wirbelsäule ein und ziehen Sie das Kinn an. Lehnen Sie sich dabei an eine Wand und versuchen Sie, den Kopf möglichst weit nach oben zu ziehen. Das ist die Nackenposition, die ich will. Und übrigens: Wenn Sie versuchen, in dieser Haltung den Hüftbeuger im Halbkniestand zu stretchen, werden Sie sogar noch viel überzeugter von dieser Position sein.
Spannen Sie jetzt den Lendenwirbelbereich an, so gut es geht. Bitten Sie einen Trainingspartner darum, Ihnen einen leichten Stoß zu versetzen und Sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, während Sie versuchen, die Balance zu halten. Sie werden sich stark und stabil fühlen.
Entspannen Sie den Nacken anschließend. Bauen Sie wieder die Körperspannung auf, halten Sie den Nacken aber entspannt und strecken Sie ihn ein klein wenig. Bitten Sie Ihren Trainingspartner wieder darum, Ihnen mit genau derselben Kraft einen Stoß zu versetzen. Bitten Sie um einen weiteren Stoß und halten Sie den Nacken diesmal so, als würden Sie in Richtung Horizont spähen. Sie werden dem Stoß nicht ganz so gut standhalten können wie bei dem Versuch, bei dem Sie den Nacken angespannt hatten.
Wenn Sie also aufrechtend stehend den Nacken nach vorne gestreckt halten und merken, dass Sie das schwächer macht – warum sollten Sie den Hals dann ausgerechnet bei Übungen mit Hip Hinge gestreckt halten wollen, die besonders viel Stabilität und Integrität erfordern?
Mahler hält seinen Kopf unten bzw. in einer neutralen Position.
- Wenn man zulässt, dass der Nacken seine Zentrierung verliert, um dynamische Stabilität zu erzielen, schränkt man die tiefen Halsflexoren ein. Der SCM (Kopfwender) und die Scaleni sollten nicht in erster Linie Stabilisierer sein, weil es nicht ihrer phylogenetischen Rolle und Entwicklung entspricht, den Hals ruhig zu halten, sondern vielmehr eine schnelle Rotation oder Bewegung zu erlauben, wenn es nötig ist, eine Gefahr zu erkennen oder zu vermeiden. Die Inhibierung der tiefen Halsflexoren ist ein GROSSER Fehler, weil damit auch die reflexartige Core-Muskulatur, bestehend aus Zwerchfell, Multifidi, Transversus abdominis und Beckenboden, inhibiert wird. Und dafür gibt es ausreichend gesicherte Belege.
Das heißt nicht, dass die Muskeln nicht anspringen. Es heißt nur, dass sie inhibiert sind und ein verzögertes Aktivierungsmuster aufweisen. Diese Meinung vertreten Hodges, Kolar, Dalcourt und viele andere, und ich denke Gray und Kyle würden dasselbe sagen. Ohne gut abgestimmte, primäre tonische Stabilisierer wird der Körper stark belastet und macht von L5-S1 dicht. So wie ich es oben von einem anderen Standpunkt aus beschrieben habe.
Eine Dezentrierung des Nackens kann auch eine Instabilität der Scapulae bewirken. Wenn der Nacken schlecht stabilisiert ist, beugt sich die Brustwirbelsäule geringfügig, die Scapulae heben sich und der untere Trapezius-Anteil ist inhibiert. Ja, und ich glaube tatsächlich, das alles ist die Folge davon, dass man im entscheidenden Augenblick den Nacken ein wenig nach hinten gleiten lässt.
Ignorieren Sie diese Muskeln nicht. Hier beginnt der Fallschirm.
- Probieren Sie ein anderes Experiment aus: Spannen Sie den Nacken so an, wie ich es vorschlage. Atmen Sie mehrmals tief ein und aus, ohne Ihre Nackenposition zu verändern. Versuchen Sie jetzt stattdessen einmal, mit vorgestrecktem Kopf zu atmen. Ich glaube nicht, dass viele dies als angenehm empfinden. Sie werden tiefere und ruhigere Atemzüge machen können, wenn Ihr Nacken gespannt ist.
Wenn Sie den Nacken gespannt halten, wird der Hinge mit etwas Übung natürlicher werden, so ähnlich wie wenn Sie einen Stab einsetzen, um die Haltung Ihres Kopfes bei der MRE (Mediale Rotation und Extension) bzw. LRF (Laterale Rotation und Flexion) Handposition zu kontrollieren. Wir versuchen hier allerdings, den Hip Hinge mit dieser Nackenposition zu korrigieren, und deshalb frage ich, warum wir ausgerechnet die Nackenposition, bei der man besser atmen kann, aufgeben sollten, wenn wir eine Zusatzlast verwenden? Das Gleiche gilt für den Kettlebell-Swing. Hält man den Nacken gespannt, schwingt die Kettlebell automatisch wie gewünscht in Richtung Schritt. Die Schwerkraft in Richtung „Squat Swing“ ist deutlich verringert.
Sie können diese Position bei Liegestützen, Unterarmstützen, Chops/Lifts und dem aktivem Beinheben in Rückenlage (ASLR) ausprobieren. Sie werden feststellen, dass sich Techniken wie der ASLR deutlich verbessern oder der Liegestütz viel kraftvoller wird. Viele sagen, dass diese Nackenposition die Kraftproduktion einschränkt, und ich stimme zu … am Anfang. Man braucht ein wenig Übung, um an den bestehenden motorischen Abläufen zu arbeiten und sie neu zu modellieren, aber dann werden sich Kraft und Schnelligkeit sogar noch verbessern. Bringt man einem Anfänger im Gewichtheben diese Nackentechnik von Anfang an bei, wird er viel schneller Fortschritte machen. Die Tatsache, dass Tom und ich mit unseren Leuten in New Jersey nach einigen Monaten Gewöhnung an diese Position im Squat und Deadlift neue persönliche Rekorde aufgestellt haben, spricht für sich.
Indem man sich selbst das Atmen erleichtert, während man seinen Körper vor beachtliche Herausforderungen an Stabilität und Kraft stellt, greift man auf eine Kraftquelle zu, die ohne den gespannten Nacken unerschlossen bliebe. Die neuromuskulären und biomechanischen Gründe sind dieselben wie oben.
- Wenn man den Nacken in Retrusion bringt oder die Gesäßmuskeln anspannt, führt das dazu, dass man das Becken nach hinten kippt, wobei man allerdings nicht in den Endbereich vordringt. Eine Umkehrung der natürlichen Krümmung ist nicht möglich. Tatsächlich bringt man das Becken und den Nacken in eine neutrale Position, die die meisten von uns (oder sogar alle) nur in bewusstem Zustand einnehmen, und ansonsten in dem schlaffen Muster feststecken, in dem die normalen Verhältnisse durcheinander geraten sind. Hier treten Schmerzen im Nacken oder unteren Rücken auf, unter denen selbst die fittesten Sportler leiden können. Und dafür reicht schon eine sehr geringe Annäherung der Knochen aus.
Das Konzept, den Nacken oder das Gesäß anzuspannen, geht zurück bis auf die Stabilisationsprotokolle Robin McKenzies, mit dem Ziel die untere Halswirbelsäule anzuspannen und dadurch ein wenig die Bewegung in der oberen Halswirbelsäule von C4 aufwärts zu erleichtern. Ein sehr anschauliches Beispiel für den „Joint by Joint“-Ansatz. Aber das bedeutet natürlich auch, dass die Integrität dieses Systems schon durch eine minimale Extension beeinträchtigt werden kann.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand Swings macht und seinen Nacken so hält? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Typ überhaupt Swings macht?
- Wenn Sie zu dem kleinen Gleichgewichtsexperiment im Halbkniestand zurückkehren, kann man auch argumentieren, der Grund für den Verlust des Gleichgewichts sei auf eine beeinträchtigte Sicht zurückzuführen. Und damit haben Sie vollkommen recht. Aber dieser Verlust des vestibulookulären (oder spinookulären) Reflexes kann durch Augenbewegungen ausgeglichen werden.
Statt den Nacken zu beugen und zu strecken, folgen die Augen dem Hip Hinge. Oro-fasziale Impulse können in der Tat gewaltige Kraft freisetzen. In der Abwärtsbewegung des Squats oder Swings blicken die Augen nach unten und in der Aufwärtsbewegung gehen sie mit nach oben an die Decke.
Ich sage es gerne noch einmal: Es ist sehr, sehr schwer, festgefahrene motorische Muster von Übungen wie Swings oder olympischem Gewichtheben zu durchbrechen, aber Augenbewegungen haben ein gewaltiges Potenzial, verborgene Kräfte freizusetzen und fügen sich nahtlos in alles ein, was ich zum Thema Wirbelsäulenstabilität weiß.
Euer Charlie Weingroff
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