Um bei chronischen Rückenschmerzen die Schmerzempfindlichkeit wieder herunterzuschrauben, sollte man sich so wirbelsäulengerecht wie möglich bewegen. Dies gilt besonders bei wiederholt auftretenden akuten Schmerzattacken. Schmerzfreie Haltungen und Bewegungsstrategien bedürfen ständiger Achtsamkeit. Der Erfolg stellt sich nur ein, wenn man sich bewusst bewegt und möglichst selten unaufmerksam reagiert. Achte auf deine Bewegungen. Bald wirst du dich instinktiv richtig bewegen, und dann verschwinden die Schmerzen wie von allein.
Das „Bauchmuskelkorsett“
Um schmerzhaften Mikrobewegungen der Facettengelenke vorzubeugen und die Beweglichkeit von Hüften und Schultern zu erhöhten, benötigen wir ein straffes Körperzentrum. Ein wichtiges Werkzeug ist gute Bauchmuskelspannung nach dem Konzept des »Bauchmuskelkorsetts«. Anweisungen wie »Bauch einziehen« oder »den Nabel zur Wirbelsäule ziehen« sind dabei allerdings wenig hilfreich, sondern gehören zu den für den Rücken schädlichen Trainingsformen, die durch bestimmte Konzepte
in der Physiotherapie, Pilates und anderen Fitnesstrends verbreitet werden.
Für ein echtes »Bauchmuskelkorsett« werden die Bauchmuskeln leicht angespannt, als würde man sich auf einen Schlag in die Magengrube vorbereiten – aber leicht! Anschließend geht es um die Feinjustierung. Damit suchst du allmählich die Anspannung, mit der sich das Zentrum optimal stabilisiert. Stelle dir dabei vor, mit einem Dimmer das Licht langsam anzupassen. Es geht nicht um ein Ein oder Aus, sondern um funktionsgerechte Anspannung: Wenn du schwere Dinge heben musst, brauchst du straffere Muskeln als für Aktivitäten, bei denen es eher um Haltungskontrolle im Bewegungsfluss geht (wie beim Gehen oder beim Aufstehen). Die Bauchspannung soll genau so stark sein, dass sie dir Schmerzen erspart, mehr nicht.
Schmerzfreie Haltungen suchen
Bei akuten Schmerzen geht es zunächst nicht um Bewegung oder gar Sport. Zuerst müssen wir den Schmerz lindern. Schmerzen führen häufig zu einer Schonhaltung, bei der die natürliche Innenkrümmung der Wirbelsäule verloren geht und die eine ungesunde Abflachung des unteren Rückens zur Folge hat. Unser Ziel ist zunächst die Wiederherstellung der ursprünglichen Krümmung der Lendenwirbelsäule. Die folgende Übung in Bauchlage hilft Ihnen dabei.
Im Liegen
Lege dich auf den Bauch, die Hände flach unter dem Kinn, sodass du nach vorne blickst. Bleibe 20 Sekunden in dieser Position. Wenn die Schmerzen dabei nicht stärker werden, setze die Übung fort. Lege nun eine Faust so unter das Kinn, dass der kleine Finger auf dem Boden aufsetzt und Daumen und Zeigefinger das Kinn abstützen. Werden die Schmerzen dabei besser oder schlimmer? Wenn du nachlässt, entspanne bitte bewusst Gesicht und Halsmuskeln und lasse dich weiter in diese Position absinken. Mit jedem Atemzug entspannst du mehr, und bei jedem Ausatmen sinkt der untere Rücken weiter in Richtung Boden. Konzentriere dich beim Atmen auf die Wiederherstellung der natürlichen Krümmung im unteren Rücken. Wenn die Schmerzen mit der Faust unter dem Kinn schlimmer werden, gehe zurück in die Haltung mit der flachen Hand, oder lege den Kopf ohne Hände auf die Seite. Wenn auch das schmerzt, gib die Bauchlage bitte auf.
Wenn die Haltung mit einer Faust jedoch angenehm und entspannend erscheint, kannst du die zweite Faust aufsetzen, sodass das Kinn in Bauchlage auf zwei Fäusten ruht. Entspanne dich, und atme bewusst in den unteren Rücken. Manche Menschen spüren die Dehnung deutlich. Die entspannte Biegung im unteren Rücken tut nicht nur gut, sondern ist auch therapeutisch hilfreich. Wenn die Doppelfaustlage hilft, kannst du diese Position regelmäßig einnehmen, bis die täglichen Schmerzen nachlassen. Falls diese Lage unangenehm ist, gehe auf eine Faust zurück. Anschließend stehe auf und versuche, deine Wirbelsäule im Stehen nicht zu bewegen.
Du stehst nun aufrecht. Geht es dir nach dem Liegen jetzt besser oder schlechter? Sind die Ischiasschmerzen oder die Taubheitsgefühle im Bein verschwunden? Wenn es dir bessergeht, kennst du eine weitere schmerzlindernde Bewegungsweise, welche der Wirbelsäulenbeugung entgegenwirkt. Lege dich am besten alle paar Stunden auf den Bauch, und wiederhole die Übung mit der Faust unter dem Kinn und dem anschließenden Aufstehen. Konzentriere dich dabei ganz auf die Entspannung der Hals- und Rückenmuskulatur, und verharre bis zu drei Minuten in dieser Position. Es geht dabei um die Herstellung der natürlichen Lordose (Einwärtskrümmung) im unteren Rücken). Häufig reicht schon eine einfache Übung wie diese aus, um akute Schmerzen bei wiederholten Alltagsbewegungen zu überwinden. Für diejenigen, denen diese Übung nicht guttut, gibt es einen anderen Ansatz.
Im Sitzen
Als Nächstes suchen wir eine belastungsarme, schmerzlindernde Sitzposition. Setze dich bitte vor einem bodentiefen Spiegel auf einen Stuhl. Lass den Oberkörper zuerst in sich zusammensinken. Richte dich wieder auf, und achte darauf, ob du dabei die Brust anhebst oder das Becken vorschiebst. Für eine entspannte Wirbelsäule ohne muskuläre Belastung sollten beide Bewegungsanteile – das Becken kippen und die Brust aufrichten – kombiniert werden. Wer diese korrigierende Bewegung beherrscht, sollte beim Sitzen in Zukunft weniger Schmerz und Belastung empfinden.
Wahrscheinlich profitierst du von einem Stützkissen für die Lendenwirbelsäule (hier gibt es verschiedene Modelle, ich empfehle ein aufblasbares) zur Aufrechterhaltung dieser stressfreien Sitzhaltung. Verwende das Kissen beim Fernsehen, am Computer, im Auto und wo du sonst noch länger sitzt. Auf einer weichen Couch hilft es allerdings nicht, denn die Wirbelsäule braucht im Sitzen eine feste, stützende Lehne. Wenn man es sich auf der Couch mit vielen Kissen gemütlich macht und den Kopf dabei beugt oder wenn man sich in einen Sessel lümmelt, tut das zwar zunächst gut; auf die Dauer ist es jedoch kontraproduktiv. Der Wohlfühlfaktor wird von demselben Dehnreflex ausgelöst, der stattfindet, wenn man auf dem Rücken liegt und die Knie an die Brust zieht. In beiden Fällen ist die Erleichterung nur vorübergehend, weil man die Bandscheiben dabei letztlich noch mehr belastet. Also Finger weg von dieser Haltung!
Im Stehen
Ist der Rücken entspannt, wenn du regungslos aufrecht stehst? Taste im Stehen mit einer Hand die Muskeln im Lendenwirbelbereich ab, oder lass dir von jemandem helfen. Sind die Muskeln hart und angespannt oder weich und entspannt? Das Ziel ist eine entspannte Muskulatur.
Diese stressfreie Haltung wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Mit dieser Übung kann man lernen, Anspannung und Schmerzen zu mindern. Sobald du nämlich erkennst, wie diese Faktoren auf das Stehen einwirken, kannst du sie zu deinem Vorteil nutzen. Denke immer an die Übung, wenn du eine Haltung mit entspannteren Rückenmuskeln einnehmen möchtest. So lassen sich Schmerzen erfolgreich lindern.
Eine weitere, häufig vernachlässigte Komponente bei der Suche nach einer gesunden Stehhaltung sind die Arme. Wenn Menschen »entspannt« dastehen, verschränken sie gern die Arme. Diese Haltung begünstigt ein Vorkippen der Schultern und damit die Rückenbeteiligung. Lasse die Arme lieber neben dem Körper herabhängen, oder führe die Hände hinter dem Rücken zusammen. Dadurch ergibt sich eine natürliche, sanfte Weitung der Brust, und die Rückenmuskeln können sich entspannen.
Mit dem Unterarmstütz an der Wand kann man gut auf Schmerzlinderung hinarbeiten, indem man die Krümmung der Lendenwirbelsäule und die Hüfthaltung nachjustiert. Wenn in Zukunft beim Stehen oder Gehen Schmerzen auftreten, hilft eine Pause mit Anwendung dieser Technik.
Euer Prof. Stuart McGill
Auszug aus Rücken-Reparatur
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