Sportlerschulter – typische Verletzungen und ihre optimale Rehabilitation
Die Überkopf-Wurf- oder Schlagbewegung ist ein hochkomplexer Bewegungsablauf bei extrem hohen Geschwindigkeiten, welcher Beweglichkeit, Kraft, Koordination und neuromuskuläre Kontrolle erfordert. Die Wurf- oder Schlagbewegung stellt außerordentliche Anforderungen an das Schultergelenk dar. Dabei ist es eine besondere Schwierigkeit, die richtige Balance zu finden zwischen Mobilität und Stabilität. Wilk et al. (1992) formulierten dieses Ziel treffend mit dem Satz „The thrower`s shoulder must be loose enough to throw but stable enough to prevent symptoms.” Die enormen Kräfte (Translationskräfte in Höhe bis zum Körpergewicht beim Abbremsen der Wurfbewegung (Fleisig et al., 1999), die wiederholt auf die Strukturen wirken, führen dazu, dass die Schulter bei Überkopfsportlern ein häufig verletztes Gelenk ist.
Um die Verletzungen und die entsprechende Therapie besser verstehen zu können, macht es Sinn, zuerst die funktionelle Anatomie des Schultergürtels zu betrachten:
Um den Arm zu bewegen, braucht es weit mehr als nur das Schultergelenk. Es bedarf eines perfekten Zusammenspiels des gesamten Schultergürtels. Der Schultergürtel besteht aus folgenden Strukturen: Humerus, Scapula, Thorax (Rippen, Sternum und Wirbel), Cervikothorakale Wirbelsäule, Clavicula.
Diese Strukturen bilden mehrere Gelenke des Schultergürtels:
- Art. humeri: glenohumerales Gelenek, scapulahumerales Gelenk. Verbindung Oberarm und Schulterblatt
– Art. subdeltoidea: suprahumerales Gelenk. Funktionelles, physiologisches Gelenk, es ist kein anatomisches Gelenk. Relation zwischen Humeruskopf und coracoacromialer Bogen.
– Art. acromioclavicularis: Gelenk zwischen Acromion und Clavicula.
- Art. sternoclavicularis: Verbindung zwischen Sternum und Clavicula. Enge Verbindung auch zur 1. Rippe.
-Scapulacostales Gelenk, scapulathorakales Gelenk: Gleitgelenk von der Scapula hinsichtlich Thorax, durch Muskeln und einer Bursa voneinander getrennt.
- Art. sternocostalis: Verbindung Rippenknorpel und Sternum
– Art. costovertebralis: Articulatio captits costae: Verbindung des Rippenköpfchen mit dem Wirbelkörper, Art. costotransversaria: Gelenk zwischen Rippe und Querfortsatz
- die intervertebralen Gelenke der cervicothorakalen Wirbelsäule
Diese Gelenke zusammen mit den dazugehörenden Muskeln, den Schleimbeuteln und den Faszien bilden den Schultergürtel. Im Vergleich zum Beckengürtel, der als Verbindung zum Bein eine eher starre Einheit mit der Wirbelsäule bildet, die hoch belastbar ist, stellt der Schultergürtel eine hochbewegliche Konstruktion dar. Diese bewegliche Konstruktion ist nach hinten knöchern offen und stellt also nicht wie der Beckengürtel einen knöchernen Ring dar. Von sehr großer Bedeutung für das optimale Bewegen des Armes ist das perfekte Zusammenspiel der am Schultergürtel beteiligten Muskeln. Um beispielsweise den Arm über Kopf zu bringen müssen viele Gelenke mitspielen, die Schulterblätter müssen sich drehen, das Schlüsselbein muss sich drehen und in seinen Gelenken zum Acromion und Brustbein bewegen, die cervicothorakale Wirbelsäule muss sich aufrichten, die Rippen mitarbeiten, das Schultergelenk muss den Arm anheben. Das alles kann nur funktionieren, wenn die Muskeln diese Gelenke optimal bewegen und vor allem auch führen. Die Muskeln spielen nicht nur eine bewegende Rolle, sondern in hohem Maßen auch eine stabilisierende. Eine gezielte Bewegung mit dem Arm ist nur möglich, wenn u.a. das Schulterblatt zwar mitbewegt, aber trotzdem noch die Bewegung durch eine Art Gegenzug stabilisiert und führt.
Vor allem die hinteren Muskelzüge die mit dem Rumpfskelett verbunden sind, können komplex miteinander agieren. Bei vielen Aufgaben des täglichen Lebens oder bei sportlicher Aktivität sichern sie die strukturelle und funktionelle Integrität dieser Region.
Das Schultergelenk ( Art. glenohumerale) ist das beweglichste Gelenk des Körpers. Durch seine Konstruktion ist es knöchern nicht gut gesichert und auch die ligamentäre Sicherung ist unzureichend. Die Sicherung des Gelenkes geschieht deshalb hauptsächlich muskulär. das Schultergelenk ist ein muskelgesichert und muskelgeführtes Gelenk.Gerade bei Verletzungen im Bereich des Schultergürtels und der oft benötigten Ruhigstellung erfordert diese Tatsache wie bei keinem anderen Gelenk eine früh funktionelle Behandlung.
Im folgenden Teil wird zuerst das Krankheitsbild der „Werferschulter“ genauer beleuchtet und anschließend das empfohlene Vorgehen in Therapie und Aufbautraining dargestellt.
Auch wenn akute Verletzungen an der Schulter hin und wieder vorkommen, so sind es deutlich häufiger sekundäre Verletzungen aufgrund von Überlastung. Unter der Sportlerschulter (oder auch Werferschulter oder engl. „Dead-Arm-Syndrome“) versteht man ein komplexes Krankheitsbild, bei dem der Sportler aufgrund von wiederholter, sportartspezifischer Überkopfbelastung spezifische Weichteilschäden im Glenohumeralgelenk und dadurch Schulterschmerzen entwickelt. Diese äußern sich meist als stechender Schmerz in der maximalen Ausholbewegung und hindern den Werfer daran, die Bewegung mit höchstmöglicher Geschwindigkeit ausführen zu können. Zum Pathomechanismus der Sportlerschulter existieren die folgenden beiden Theorien:
Der eine Erklärungsansatz sieht die Hauptursache in einer Innenrotationseinschränkung in Abduktion aufgrund einer Erweiterung der Außenrotation sowie einer Kontraktur der dorsalen muskulokapsulären Strukturen. Durch diese Kontraktur kommt es zu einer Kranialisierung des Humeruskopfes und daraufhin zu einer Schädigung des oberen Labrums und der Rotatorenmanschette. (vgl. Morgan, Burkhart & Kibler, 2003)
Die andere Theorie beschreibt das Instabilitätsimpingement als Grund für die Schmerzsymptome. Durch die wiederholten Wurf- und Schlagbewegungen komme es immer wieder zu Mirkrotraumen und zu einer Aufweitung der ventralen Kapsel des Glenohumeralgelenks. Dadurch vergrößere sich das Bewegungsspiel des Humeruskopfes in der Gelenkpfanne, was dazu führe, dass der Humeruskopf nach kranial gezogen und dadurch ein subakromiales Impingement enstehen würde. (vgl. Jobe, 1995)
Unabhängig davon, welcher Entstehungsmechanismus nun genau dahintersteckt, so sind die häufigsten sekundären Strukturschädigungen die SLAP-Läsion und die Rotatorenmanschetten(teil-) ruptur.
SLAP-Läsion
Die SLAP-Läsionen (SLAP=superior labrum anterior to posterior) beschreiben eine Gruppe von Verletzungen des oberen Labrum glenoidales und des Sehnenansatzes der langen Bizepssehne, die je nach Schweregrad der Verletzung in Typ I bis IV nach Snyder (1990) eingeteilt werden. Hierbei kommt es durch wiederholte Überkopfbelastung oder ein Trauma zu einer mehr oder weniger starken Ablösung des oberen Labrums mit der hier inserierenden langen Bizepssehne vom Glenoidrand. Bei Typ I liegt lediglich eine Auffaserung des oberen Labrums vor, wohingegen bei Typ II der Labrum-Bizepsanker-Komplex vom oberen Glenoid nach oben abgerissen ist. Typ III beschreibt einen korbhenkelartigen Riss des oberen Labrums und bei intaktem Bizepsanker und Typ IV eine zusätzliche Längsaufspaltung der langen Bizepssehne mit Verschiebung eines Labrum-Bizepsanteils nach unten (kaudal) in den Gelenkspalt. Die Diagnostik von SLAP-Läsionen kann sich sehr schwierig gestalten, da die Symptome oft denen bei Rotatorenmanschettenverletzungen ähneln. Eine gute Diagnostik setzt viel Erfahrung des behandelnden Arztes voraus und kann oftmals erst definitiv durch eine Arthroskopie gestellt werden.
Rotatorenmanschette (Reizung, (Teil-)Ruptur)
Eine weitere häufige Verletzung der Werferschulter ist die Rotatorenmanschetten-(Teil-) Ruptur. Hierbei kommt es meist durch degenerative Veränderungen, selten aber auch durch ein akutes Trauma, zu einem partiellen oder kompletten Riss eines oder mehrerer Muskeln der Rotatorenmanschette (m. supraspinatus, m. subscapularis, m. infraspinatus, m. teres minor und m. biceps femoris). Am häufigsten ist der M. supraspinatus betroffen.
Die meisten Schulterverletzungen können erfolgreich konservativ behandelt werden. Erst wenn nach einer 3-monatigen intensiven, konservativen Therapie keine Besserung eintritt, sollte eine operative Therapie in Erwägung gezogen werden. Das Aufbautraining sieht bis auf einige kleine Details bei den meisten Verletzungstypen ähnlich aus. Dennoch ist es bei Überlastungsverletzungen wichtig, den Verletzungsgrund zu identifizieren. Welche muskulären Dysbalancen und/ oder neuromuskulären Dysfunktionen führten zu den entsprechenden degenerativen Veränderungen und zu der anschließenden Verletzung?
Im Folgenden werden die unterschiedlichen Phasen der Schulterrehabilitation dargestellt.
- Phase: Akute Phase
Ziel dieser Phase ist es, die möglichen Einblutungen schnell aus dem betroffenen Gebiet zu schaffen. Hier bietet sich neben passiven Maßnahmen die manuelle Lymphdrainage an. Auch die Entzündungshemmung steht in dieser Phase im Vordergrund.
Des Weiteren ist es wichtig, die optimale Arthrokinematik wieder herzustellen. Durch die Reizung oder Ruptur der Rotatorenmanschette oder einer SLAP-Läsion kommt es zu einer Kranialisierung des Humeruskopfes. Das hat zur Folge, dass der Arm nicht mehr gut bewegt werden kann, da hierfür ein sogenannter Roll-Gleitmechanismus notwendig ist. Die Verbesserung des Kaudalgleitens sowie die Zentrierung des Humeruskopfes stehen hier im Mittelpunkt. Außerdem muss die Ruheposition der Scapula sowie die Bewegung der Scapula auf dem Thorax genauestens analysiert werden. Bei den meisten verletzten Überkopfsportlern finden wir die gleichen Auffälligkeiten: abnormale Scapulaposition und -bewegung aufgrund von zu schwachen Schulterblattstabilisatoren (Mm. Rhomboidei, M. Trapezius pars ascendens und M. serratus anterior) und „verkürztem“ M. pectoralis minor. Neben der Verbesserung der Arthrokinematik sollte der Arm je nach Möglichkeit aktiv-assistiv durchbewegt werden, um möglichen Verklebungen vorzubeugen. Das Durchbewegen hat außerdem den positiven Aspekt, dass der betroffene Arm besser ernährt und vom Gehirn nicht vernachlässigt wird. Unser Gehirn ist ein perfekter Energiesparer und neigt dazu, Strukturen, die nicht oder sehr wenig bewegt werden, nicht mehr ausreichend zu versorgen.
Ein weiteres wichtiges Therapieziel in dieser Phase ist es, die Rotationsfähigkeit der Schulter wieder langsam anzubahnen. Zuerst wird in Neutral-Null-Stellung vor allem die Außenrotation geübt. Ist es dann zunehmend möglich den Arm zu abduzieren, ist es auch wichtig, die Innenrotation zu beüben
und eine weitestgehend normale Innenrotationsfähigkeit der Schulter bei abduziertem Arm herzustellen. Eingeschränkte Beweglichkeit in die Innenrotation scheinen einen großen Einfluss auf die Entstehen von Schulterverletzungen zu haben.
- Stabilisierungsphase
Ziel dieser Phase ist es, die neuromuskuläre Kontrolle und die Sensomotorik zu verbessern, das Kraftdefizit der abgeschwächten Muskelgruppen auszugleichen und die Schulter zuerst statisch und dann dynamisch zu stabilisieren. Wichtig ist es in dieser Phase auch die Muskeln zu trainieren, die den Humeruskopf kaudalisieren, um die muskuläre Dysbalance auszugleichen. Zum Verbessern der neuromuskulären Kontrolle eignen sich zum einen gezieltes Training von PNF-Mustern (Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation) und zum anderen das Durchführen von Stützmustern in allen möglichen Variationen, in allen Ebenen und auf vielen verschiedenen Unterlagen. Hierbei hat die korrekte Ausführung oberste Priorität. Die Intensität kann beispielsweise über den Winkel (stehendes Stützen an der Wand über schräges Stützen auf eine erhöhte Fläche bis hin zu Stützen am Boden), die Anzahl der Bodenkontakte (beidbeinig, einbeinig, beidarmig, einarmig oder wechselnd) oder den Grad an Instabilität (z.B. Stützen auf Bosu-Ball, Indo-Board oder im Sling-Trainer) gesteigert werden. Durch die Steigerung der Intensität bei dieser Art von Übungen ist der Übergang zum Training der Schulterstabilisation fließend. Hierbei sollte in dieser Phase von statisch zu dynamisch kontrolliert gesteigert werden.
Im Krafttraining werden in dieser Phase vor allem die abgeschwächten Schulterblattstabilisatoren und die Schulteraußenrotatoren trainiert. Eine Auflistung von Übungen würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Deshalb verweisen wir auf das Übungsprogramm „Throwers´ Ten“, das unserer Ansicht nach ein gutes Grundprogramm darstellt.
Außerdem ist die Kräftigung des Rumpfes und der Hüft- und Beinmuskulatur ein wichtiger Bestandteil des Trainings, da ein optimal starker und stabiler Schultergürtel nur über eine stabile Säule erreicht werden kann. Übungen zur Verbesserung der Schulterbeweglichkeit und zur Dehnung des Pectoralis minor werden in dieser Phase weiterhin durchgeführt.
- Spezifische Phase
In der dritten Aufbauphase wird das Krafttraining intensiviert und spezifiziert. Die Übungen aus dem „Throwers Ten-Programm“ werden dadurch intensiviert, dass sie schnellkräftig bzw. plyometrisch ausgeführt werden oder indem eine reaktive Komponente hinzukommt (beispielsweise indem der Therapeut das Seil des Seilzugs stört oder das Gewicht abrupt loslässt und der Athlet es abfangen muss). Das plyometrische Trainingsprogramm für Überkopfsportler sollte mit beidarmigen Medizinballübungen wie beispielsweise Druckpässen bzw. Medizinballstoßen („chest passes“), Überkopfwürfen („overhead soccer throws“) und Rotationswürfen („side-to-side throws“) begonnen werden und sukzessive bis hin zu einarmigen Überkopfwürfen gesteigert werden.
Außerdem sollte ein spezifisches, lokales Kraftausdauertraining durchgeführt werden, da zahlreiche Studien belegen, dass die Propriozeption bei ermüdeter Muskulatur vermindert ist, der Humeruskopf bei ermüdeter Rotatorenmanschette nach kranial wandert und das Risiko für Schulterverletzungen bei ermüdeter Muskulatur deutlich erhöht ist (siehe Wilk et al., 2009).
Auch die Schulterstabilisationsübungen werden von der kontrolliert dynamischen Ausführung weiter gesteigert über schnelle Dynamik bis hin zu Variationen mit reaktivem, also ungeplantem Charakter.
Das Trainingsprogramm, das in dieser Phase durchgeführt wird, stellt eine äußerst hohe Beanspruchung für die Schulter des Athleten dar. Um den Belastungen eines Überkopf- bzw. Wurfsportlers gerecht zu werden, muss die betroffene Schulter einem solchen Programm standhalten können. Dennoch ist es für die Dosierung und Übungsauswahl wichtig, dass Athlet, Therapeut und Trainer in ständigem Austausch sind.
Das oben beschriebene Therapieschema stellt ein Grundprogramm dar, das in Abhängigkeit der individuellen Dysfunktionen oder Verletzungsbesonderheiten und der sportartspezifischen Ziele ergänzt werden muss.
Zusammenfassung
Der Schultergürtel ist eine sehr komplexe Struktur ,bei der Beweglichkeit und Stabilisation perfekt aufeinander abgestimmt sein müssen. Kraft, Beweglichkeit , Koordination der beteiligten Strukturen und neuromuskuläre Kontrolle sind in hohem Maße gefordert. Vor allem bei Überkopfsportarten kommt es zu Verletzungen verschiedener Strukturen des Schultergürtels. Hier gilt es dann eine sehr sorgfältige Diagnostik zu betreiben und auch in der Therapie und in der Reha muss der Komplexität des Schultergürtels unbedingt Rechnung getragen werden.
Eure
Maria Härter und Jochen Gehring
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